Minimalismus / Neorealismus: ─sthetik der Sachlichkeit im Zeichen der Post-
Postmoderne.
Im Kontext des mittlerweile allenthalben reklamierten 'Endes' der Postmoderne und der
damit scheinbar verbundenen Rⁿckkehr der Kunst zu einer 'neuerlichen' ─sthetik der
Sachlichkeit zeichnete sich in der amerikanischen Literatur der achziger Jahre ein Trend ab, der
von der Kritik unter Begriffen wie "hyperrealism", "dirty realism" und insbesondere
"minimalism" subsumiert wurde. Diese aus der Kunst- und Musikwissenschaft ⁿbernommene
Bezeichnung wird fⁿr verschiedene Arten von Texten verwendet, die sich einerseits durch
extremen OberflΣchenrealismus, andererseits durch die weitgehende Verweigerung einer sinnstiftenden
Vermittlung der Wirklichkeit auszeichnen. Diese beiden in minimalistischen Texten
erkennbaren diametral entgegengesetzen Wirkintentionen reflektieren das Spannungsfeld
zwischen Entpragmatisierungs- und Repragmatisierungstendenzen, das im Zuge der
Ausbreitung postmoderner Literatur in den sechziger und siebziger Jahren auch in der
Σsthetischen Theorie an KontrastschΣrfe gewonnen hatte.
Minimalistische Literatur ⁿbernimmt durch Affirmation und Fortschreibung
skeptizistischer Str÷mungen der Postmoderne vielfach deren entpragmatisierende
Grundhaltung. Den verspielten Kaprizen eines traditionell postmodernen ErzΣhlers, der die
Thematisierung der AutoreflexivitΣt des Kunstwerks mit komplexen narrativen Strukturen
erreichte, stehen im Minimalismus etwa die Verweigerung von Sinnstiftungsmodellen durch
Reduktion der auf die PrimΣrwirklichkeit verweisenden Sinnmuster gegenⁿber: die referentielle
Aporie der Postmoderne wird quasi mimetisch (mittels einer zur Leerformel reduzierten
Wirklichkeitsreferenz) umgesetzt. In diesem Sinne lΣ▀t sich der Minimalismus letztlich der
postmodernen Literatur zuordnen, von der er lediglich formal, nicht aber hinsichtlich seiner
ideologischen Ausrichtung abweicht.
Demgegenⁿber stehen jedoch auch minimalistische Textstrategien, die bei aller
Verweigerung sinnhafter PrΣdikation als 'post-postmodern' zu verstehen sind, insofern ihre
Strukturen eine klare Absage an die Postmoderne sowohl in formalΣsthetischer als auch
ideologischer Hinsicht beinhalten. Sie scheinen gegen postmodernen Bedeutungsrelativismus
gerichtet eine Rⁿckbesinnung auf die gesellschaftlichen Funktionen der Literatur zu initiieren.
In diesem Falle ⁿberlagern sich postmoderne mit neorealistischen, auf eine textexterne
gesellschaftliche Wirklichkeit verweisenden ErzΣhlstrategien. Die formale Reduktion
minimalistischer Literatur legt implizit oft eine Fokussierung auf 'essentielle' Wirklichkeit und
epiphanisches Erleben nahe.
Insofern durch die formale Reduktion in minimalistischer Literatur die PrΣsenz von
autopoetischen Kommentaren ebenso wie von Verweisen auf implizite Ideologien auf ein
Minimum herabgesetzt ist, werden die textintern (re-)konstruierbaren Wirkintentionen Σu▀erst
interpretabel. Ihre ideologische und programmatische Offenheit wird hΣufig von den rezipierenden
Interpretationsgemeinschaften deren spezifischem LiteraturverstΣndnis entsprechend
auf verschiedenste Weise ausgelegt; Pragmatisierungs- oder Entpragmatisierungstendenzen
werden dabei von den Rezipientengruppen mithin als Konstrukt ihrer Weltorientierung in die
Texte erst hineinprojiziert.
Wichtige Forschungsliteratur
John W. Aldridge, Talents and Technique: Literary Chic and the New Assembly-line Fiction.
New York, 1992.
Graham Clarke, ed., The New American Writing: Essays on American Literature Since 1970,
New York, 1990.
Edward Strickland, Minimalism: Origins. Bloomington, 1993.
John Barth, "A Few Words About Minimalism." The New York Times Book Review
Kim Herzinger, "Minimalism as a Postmodernism: Some Introductory Notes." New Orleans
Review, 16:3 (Fall 1989), 73-81.
Eigene Vorarbeiten (Bernd Engler, Abteilung fⁿr Amerikanistik)